Hannes MandelBilder der Beschleunigung - Ikonographie / Topik / TheorieGegenstand und Fragestellung "Die Welt dreht sich immer schneller und schneller!", so lautet eine oft gehörte Klage unserer Zeit - nicht nur im privaten, durchaus auch im wissenschaftlichen Diskurs: etwa bei Geißler, Levine und Rosa. Doch ist eine solche Wahrnehmung keineswegs neu: Bereits Goethe, Heine, von Stein, Nietzsche, Musil und andere diagnostizierten ähnliche Verhältnisse. Betrachtet man diesen "Beschleunigungskurs" genauer, so fällt auf, dass Bilder (rhetorische wie materielle) darin stets eine bedeutende Rolle spielen. In methodischer Anlehnung an Ernst Robert Curtius’ Toposforschung in der Literaturwissenschaft sucht und untersucht diese Arbeit eben jene Bilder der Beschleunigung. Sie gliedert sich in zwei Teile: Während der erste einen ikonographischen Streifzug durch die europäische Kulturgeschichte leistet, widmet sich der zweite darauf aufbauend den Bildern im Werk des französischen "Geschwindigkeitsphilosophen" Paul Virilio. Zentrale Frage ist dabei stets diejenige nach der rhetorischen Verwendung der Bilder, nach ihrer Tradiertheit und Varietät. ErgebnisseIm ersten Teil der Arbeit überraschte neben der langen Tradition vieler Bilder besonders ihre ungehemmte, nahezu beliebige Inbeschlagnahme selbst für einander entgegengesetzte Argumentationsstrategien (exemplarisch hierfür das Rad, Chronos, Kairos, Phaethon oder die Eisenbahn). Auch in der Auseinandersetzung mit den Thesen Virilios manifestierten sich gleichermaßen Tradiertheit, rhetorische Ambiguität und Flexibilität: So bringt Virilio etwa den statischen Bunker als Ikone der Geschwindigkeit in Anschlag, stilisiert den Unfall, die Transparenz und das Terminal zu technologiehistorischen Paradigmen und weiß vermittels seiner Universalhypothese des "rasenden Stillstands" nicht nur sämtliche denkbaren Argumente für sich verfügbar zu machen, sondern auch, sich gegen jedweden Einspruch zu immunisieren. Mögen seine schnellen und assoziativen Thesen auf den ersten Blick durchaus beeindrucken, so erweisen sie sich im Ergebnis dieser Untersuchung als eine zur Redundanz neigende Anhäufung von immergleichen Bildern. Metaphorik und (mutmaßlich) faktische Argumente verwischen dabei in solch hohem Maße, dass zuletzt gar die wissenschaftliche Anschlussfähigkeit der Virilio’schen Thesen in Frage gestellt werden muss. Konfrontiert man diesen Befund mit dem großen publizistischen Erfolg Virilios und seinem führenden Standing in der Beschleunigungsdebatte, so ergibt sich einmal mehr die Frage nach dem Status und der Funktion des Topischen im wissenschaftlichen Diskurs. Die vorliegende Arbeit zeigt auf, dass Topos und Topik trotz ihrer Ächtung durch die Aufklärung aus dem wissenschaftlichen Diskurs keineswegs entschwunden sind. Schlussendlich mündet sie in der These, dass sich der nach den gewonnenen Erkenntnissen mitunter überraschende Erfolg von Virilios Werk womöglich gerade mit dessen eigenem, wesenhaften, hochgradig topischen Charakter erklären lässt. |
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letzte Änderungen: 30.10.2006 14:23 |
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