Applaus Potsdam

Manja Hellpap

"Zuerst der Alex. Den gibts noch immer."* Berlin: 83 Autoren, 79 Orte.

Ein typografisches Stadt-Lesebuch

Berlin ist ein unüberschaubares Konglomerat von Stimmen. Mein gestalterisches und redaktio-
nelles Ziel war es, ausgewählte, möglichst konträre literarische Stimmen zusammenzubringen. Das Ziel des entstandenen Buches ist es, dem Leser ein vielschichtiges Stadtbild anzubieten: von hingebungsvoller Berlin-Bewunderung bis hin zum blanken Hass auf die Stadt. Zu Wort kommen Autoren der letzten 100 Jahre: Walter Benjamin, Thomas Brussig, Alfred Döblin, Wladimir Kaminer, Alfred Kerr, Stephan Maus, Monika Maron, Christa Wolf, Dilek Zaptcioglu und viele, viele mehr;
sie alle beziehen sich auf bestimmte Orte. Es gibt keine Seitenzahlen; eine Stadt lässt sich nicht linear lesen. Als räumliche Orientierungshilfen dienen Koordinaten, die die Lage im Stadtplan anzeigen. Jedes Kapitel wird außerdem mit einer Übersichtsseite eingeleitet, die es dem Leser erlauben soll, die räumlichen Bezüge der einzelnen Stadtteilstreifzüge nachzuvollziehen und sie vielleicht auch selbst nachzulaufen, wie ich es während der Recherche für das Buch getan habe. Die einzelnen Erzähler werden immer namentlich genannt. So können bei Bedarf am Ende des Buches der entsprechende Handlungszeitraum und die literarische Quelle nachgeschlagen werden.

Die typografische Gestaltung spielt sich auf zwei Ebenen ab: bereichseinleitende Stimmungsbilder machen sich die an den entsprechenden Orten vorhandenen bzw. für sie typischen Schriftformen zunutze; die typografische Gestaltung der literarischen Texte richtet sich nach den vorhandenen räumlichen Gegebenheiten und macht den Ort auf diese Weise möglichst "erfahrbar". Basis hierfür waren Recherchen an den einzelnen Handlungsorten und die Erstellung visueller Raumprotokolle im Vorfeld. Entstanden ist die Visualisierung eines umfassenden sprachlichen Berlin-"Protokolls", in dem die Protagonisten des letzten Jahrhunderts versammelt sind und ein Bild ihrer Stadt zeichnen. Als Leser, bzw. Betrachter, begleitet man sie auf ihren Wegen durch Berlin, wird Zeuge zufälliger Treffen, beobachtet, wo sie verweilen und wann sie sich trennen. Der Raum, die Orte, bilden die gemeinsame Einheit; die Zeit spielt nur eine untergeordnete Rolle. Das Buch wird zur Bühne. In Berlin bröckelt immer noch der Putz; ein Umstand, der nach wie vor viele Menschen anzieht. Berlin ist eine ungeschminkte Stadt. In meiner Gestaltung habe ich diesen Umstand durch die strikte Einschränkung auf Schwarz als einzige Druckfarbe gespiegelt. Nur die verschiedenen Schichten der leichten, empfindlichen Umschläge sind farbig. Wie eine Zwiebel lässt sich das Buch häuten:
jedem Betrachter seine Fassade. Die redaktionellen Teile und die Kapiteleingänge werden durch eingelegte dunkle Kartons verstärkt: der Leser spürt, dass etwas Neues beginnt, ohne mit Gewalt darauf gestoßen zu werden. Ähnlich wie beim Überqueren innerstädtischer Grenzen ...

*Alfred Döblin: "Berlin Alexanderplatz"

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letzte Änderungen: 13.11.2009 15:38